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Projekt Wiphala – eine Kurzbeschreibung
Das Projekt Wiphala im bolivianischen El Alto, der rasant anwachsenden Trabantenstadt vor den Toren der Andenmetropole La Paz, ist eine gut etablierte und integrierte Anlaufstelle für arbeitende Kinder und Jugendliche. Die IKJH – Internationale Kinder- und Jugendhilfe e.V. unterstützt das Projekt Wiphala seit der Gründung im Jahre 2002 und hat dieses als langjähriger Träger maßgeblich mit aufgebaut.
Ziel des Projektes mit eigenem Haus in der Nachbarschaft des Verkehrsknotenpunktes Plaza Ballivian ist die Verbesserung der Lebenssituation sozial benachteiligter, arbeitender Kinder und Jugendlicher sowie armer Frauen des Stadtteils. Indem ihnen Auswege aus dem Teufelskreis von Armut, Analphabetismus, Drogenmissbrauch, Gewalt und zerrütteten Familienverhältnissen aufgezeigt werden, finden sie neue Perspektiven. Das Projekt Wiphala trägt dazu bei, dass aus arbeitenden Kindern keine Straßenkinder werden und schafft somit eine wertvolle Grundlage für ihre Zukunft.
Um diese hoffnungsvollen Entwicklungen zu erreichen, setzen wir bei der Projektarbeit folgende Schwerpunkte:
- Gesunde, regelmäßige Ernährung
- Medizinische Grundversorgung
- Soziale Einbindung der Kinder und Jugendlichen in die Projektgemeinschaft
- Integration des Projektes im Stadtteil, Miteinbeziehung von Eltern und Angehörigen
- Förderung der schulischen und beruflichen Ausbildung, pädagogische Betreuung
- Herstellung von Strickwaren und Kunsthandwerk
- Betreutes Wohnen für Kinder- und Jugendliche die aufgrund ihrer besonderen Situation zu Hause (z.B. Gewalt, Tod der Eltern, Alkoholismus) nicht mehr bei Ihrer Familie wohnen können
Hier finden Sie das Projektvideo der Fundacion Wiphala aus dem Jahr 2020, das Ihnen auf Youtube einen kurzen Einblick in den Projektalltag ermöglicht.
Die Situation vor Ort – Hintergrund zum Projekt Wiphala
Reiches Erbe, armes Land
Bolivien liegt als Binnenland in der Mitte des südamerikanischen Kontinents. Trotz seines Reichtums an Bodenschätzen, früher vor allem Silber und Zinn, heute Erdgas, ist Bolivien das ärmste und exportschwächste Land Südamerikas. Mit etwa 2.400 US-Dollar pro Kopf/Jahr (2002) ist sein Bruttoinlandsprodukt unterdurchschnittlich. Zwei Drittel der Bevölkerung leben infolgedessen von weniger als einem Dollar pro Tag – geradezu unvorstellbar.
Etwa 72% der Bevölkerung Boliviens gehört den indigenen Völkern an. Die größten indigenen Gruppen sind die Quechua und Aymara. Insgesamt gibt es heute noch 40 ethnische Gruppen und 35 Sprachfamilien in Bolivien, eine Vielfalt an Ethnien, die sich in der bolivianischen Kultur widerspiegelt. Die unter unterschiedlichsten klimatischen und wirtschaftlichen Bedingungen lebenden Menschen haben entsprechend unterschiedliche Mythen, Riten, Rhythmen, Tänze, Textilien und dergleichen mehr entwickelt – eine wunderschön anmutende, bunte Vielfalt, die jedoch immer wieder Auslöser zahlloser Konflikte ist. Eklatante Bildungsmissstände tragen ein Übriges bei.
Diese und viele weiter Aspekte machen Bolivien zu einem faszinierenden Land, das gleichzeitig dringend unsere Unterstützung braucht, um sich im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe weiterentwickeln zu können. Eine Zukunft in Frieden und Freiheit scheint oft weit entfernt zu sein, jedoch sind es gerade die kleinen Schritte, die immer wieder Grund zu großer Hoffnung geben. Das Projekt Wiphala trägt seit einigen Jahren seinen Teil dazu bei.
El Alto: sozialer Brennpunkt vor den Toren von La Paz
Mit knapp 950.000 Einwohnern (Schätzung 2009) ist El Alto, der auf dem andinen Altiplano, unmittelbar westlich von La Paz gelegene, ehemalige Stadtteil von La Paz, heute nach Santa Cruz – und noch vor La Paz – die zweitgrößte und ärmste Stadt Boliviens. Jährlich führt die Landflucht ca. 60.000 neue, größtenteils indigene Zuwanderer nach El Alto, die nach einer neuen Existenz suchen, hier jedoch in einem städtischen Umfeld, herausgerissen aus ihren strukturierten Dorfgemeinschaften und eigenen Kulturwerten, nur schwer Fuß fassen können. Auch hält die Infrastruktur der Stadt mit dem rasanten Wachstum nicht Schritt, so dass manche Viertel jahrelang ohne Wasser und Strom, ohne Schulen und Sanitätsposten bleiben.
Traurige Bekanntheit erlangte El Alto im Oktober 2003, als die zunächst friedlichen Proteste der Bevölkerung im Zusammenhang mit der Nutzung nationaler Erdgasvorkommen von der Armee mit Waffengewalt niedergeschlagen wurden, wobei viele Todesopfer zu beklagen waren. Im Juni 2005 führten soziale Unruhen, wochenlange Streiks und Straßenblockaden zum Rücktritt des Präsidenten Carlos Mesa.
Am 18. Dezember 2005 wurde Evo Morales, der die sozialistische Bewegung Movimiento al Socialismo vertritt und die indigene Bevölkerungsmehrheit repräsentiert, mit 54% der Stimmen zum Präsidenten gewählt. Es war das erste Mal seit Wiederkehr der Demokratie 1982, dass ein Präsidentschaftskandidat die absolute Mehrheit erreichte. Evo Morales ist außerdem trotz der großen indigenen Bevölkerungsmehrheit der erste indigene Präsident Boliviens.
Auch heute noch ist die politische Marginalisierung der indigenen Bevölkerung längst nicht vollständig überwunden. Gerade in El Alto, dem Standort des Hilfsprojekts Wiphala, wird dies immer wieder deutlich. Hinzu kommt hier ein Teufelskreis aus Analphabetismus, mangelnder Bildung, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus, zerrütteten Familienstrukturen und Gewalt. Insbesondere die Kinder leiden sehr unter den Bedingungen und der weitgehenden Perspektivenlosigkeit des Lebens in El Alto.
Die Situation der Kinder
Zerrüttete Familien, Armut, Alkoholismus und Aussichtslosigkeit – für viele Kinder in El Alto bedeutet dies konkret, dass sie schlecht versorgt sind. Sehr viele von ihnen müssen sich Ihren Platz in der Familie buchstäblich erarbeiten, und das schon sehr früh. Wenn ein Elternteil oder beide fehlen, alkoholbedingt ausfallen oder aus Arbeitsmarktgründen nichts oder zu wenig verdienen, bleibt vielen Kindern keine Wahl: sie müssen arbeiten gehen, auf der Straße etwas zum Familieneinkommen hinzuverdienen. In La Paz und El Alto geht ihre Zahl in die Zehntausende.
Auf den Plätzen der Stadt kann man sie sehen. Viele Stunden täglich verbringen sie damit, Passanten die Schuhe zu putzen oder sie begleiten Busfahrer, um Fahrgelder einzusammeln. Mädchen arbeiten oft in Verkaufsständen am Straßenrand oder helfen beim Wäschewaschen. Abends gehen sie zwei Stunden in die Schule. Da vielen jedoch tagsüber die Gelegenheit fehlt, Hausaufgaben zu erledigen und sie abends durch Arbeit, schlechte und unregelmäßige Nahrungsversorgung, weite Wege und zahllose weitere Probleme erschöpft und überfordert sind, erscheint der Schulbesuch oft sinnlos und viele geben ihn auf. Damit verlieren sie ihre Chance, jemals das Abitur, den einzigen in Bolivien möglichen Schulabschluss, zu schaffen und durch Bildung und Beruf aus dem Kreislauf der Hoffnungslosigkeit auszubrechen.
Viele dieser Kinder und Jugendlichen betäuben ihre Verzweiflung mit Alkohol und billigen Schnüffelstoffen. So beginnen neue Kreisläufe von Sucht und Gewalt. Da sie meist nur noch lose Verbindungen zu ihren Familien haben, ist für viele der letzte Schritt, nämlich ein völliges Abtauchen ins Straßenleben, ein leichter.
Für die Kinder, die auf und um die Plaza Ballivian in El Alto arbeiten sowie für ihre Familien gibt es heute die Anlaufstelle Wiphala. Der Ansatz leuchtet ein: junge Menschen, die in einem sozialen Umfeld aufwachsen, das ihnen Perspektiven bietet, werden nicht auf die Straße gehen und Eltern, die ein festes Einkommen haben, können ihre Kinder versorgen.
Wiphala – Entstehung des Projektes
Das Projekt Wiphala entstand im Mai 2002 durch Initiative des bolivianischen Sozialpädagogen Marcelo Machicado, der Psychologin Dennis Gutierrez Zarate und der deutschen Sozialpädagogin Monika Stöckl die Mitglied der IKJH ist.
In der ersten Phase des Projektes wurden durch Streetwork Kontakte zu den Kindern und deren Eltern hergestellt, um die jeweilige Lebenssituation zu erfassen. Bei regelmäßigen Treffen wurden die Kinder mit Essen versorgt, wobei konkrete Probleme besprochen und Lösungen dafür gesucht wurden. Außerdem wurden gemeinsame Aktivitäten, wie Fußballspiele, Fahrradausflüge, Wanderungen etc., mit den Kindern organisiert, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern und ihnen Alternativen aufzuzeigen. Mit den Eltern der Kinder wurden Treffen organisiert, um sie für die Problematik zu sensibilisieren und um mit ihnen gemeinsam Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten.
Mit Beginn der zweiten Phase des Projekts im Oktober 2002 mietete Wiphala an der Plaza Ballivian, wo sich die meisten der Kinder täglich aufhalten, einen Raum an. Hierher konnten die Kinder sich zurückziehen. Sie konnten sich von der Arbeit erholen, sich aufwärmen, essen, spielen und lernen. Es wurde auch damit begonnen, die Kinder bei ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung zu fördern.
In der dritten Phase des Projekts (2004 bis 2008) wurde durch den Kauf eines Hauses die Anlaufstelle erweitert und das Projektangebot sichergestellt. Zur Schaffung beruflicher Perspektiven finden bei Wiphala nun inzwischen täglich Kurse statt, darunter Kurse für Bäckerei, Näherei, Armbändchen, Makramee und Schmuck sowie Metallarbeit und Schweißen.
In der vierten Phase die 2009 begann wurde nunmehr ein vollintegrierter Projektansatz umgesetzt, der auch alle weiteren Bedürfnissen der Kinder- und Jugendlichen gerecht wurde. Die mit dem Ziel sicherzustellen, dass nicht nur alle grundlegenden Bedürfnisse der Zielgruppe adressiert werden, sondern die Projektkinder später ihr Leben auch wirklich erfolgreich eigenständig meistern können. Als man feststellte, dass trotz vorliegendem Schulabschluss praktisch keine berufliche Perspektive bestand, wurde ein Ausbildungsprojekt ins Leben gerufen, das der Zielgruppe nun ermöglicht einen Beruf gemäß ihrer Qualifikation und Wünschen unabhängig von ihrem schweren sozialen Hintergrund zu erwerben.
Da es ferner immer wieder vorkam, dass Kinder- und Jugendliche auf einmal auf der Straße standen, weil ein Leben in ihren Familien aus verschiedenen Gründen (Tod Eltern, Alkoholismus, Gewalt, Armut) nicht mehr möglich war, wurde ferner als eigener Projektteil ein Betreutes Wohnen ins Leben gerufen. So konnte sichergestellt werden, dass auch in diesen extremen Fällen, die Kinder nicht schutzlos ihrem Schicksal überlassen werden mussten. Das Betreute Wohnen ist nur wenige Straßen vom Haupthaus entfernt.